Estrogene Aktivität im Abwasser - Nachweis mit Hilfe eines biologischen Wirktests und Erfassung der Elimination bei weitergehender Abwasserreinigung (UBC)

Projektlaufzeit: 2001 - 2004

Leitung:

Prof. Dr. rer. nat. Hans Toni Ratte


Bearbeitung:

Anja Coors


Auftraggeber:

DFG Graduiertenkolleg AGEESA

 

Hintergrund:

Abwässer gelten als hauptsächliche Quelle von estrogen wirksamen Substanzen, bei denen es sich einerseits um natürliche und synthetische Hormone handelt und andererseits um Industriechemikalien, die in unerwünschter Weise das Hormonsystem beeinflussen können. In diesem Dissertationsprojekt wurde mit Hilfe eines biologischen in vitro Zelltests estrogene Aktivität in verschiedenen Arten von Abwasser nachgewiesen und die Elimination dieser Aktivität im Verlauf der Abwasserreinigung erfasst.
Der verwendete in vitro Wirktest basierte auf der Induktion eines Reportergens in estrogen-sensitiven, gentransformierten Mammakarzinomzellen (sogenannten MVLN-Zellen).
Die erfolgreiche Etablierung dieses Testsystems konnte unter anderem durch die mit Literaturdaten übereinstimmende Quantifizierung der relativen estrogenen Potenz von bekannten (Xeno)estrogenen demonstriert werden. Auch die Eignung der durchgeführten Probenaufarbeitung zur Gewinnung konzentrierter, für den MVLN-Test geeigneter Extrakte als entscheidender Schritt bei der Quantifizierung estrogener Aktivität in Umweltproben konnte belegt werden.
Trotz weltweiter Forschungstätigkeiten in den letzten Jahren ist die Datenlage über die Elimination estrogen aktiver Substanzen aus dem Abwasser immer noch unzureichend. Die vorliegende Arbeit leistet hier einen Beitrag und ist darüberhinaus die erste systematische Untersuchung der in Deutschland häufigen, weitergehenden (tertiären) Abwasserreinigung hinsichtlich der Entfernung estrogen aktiver Substanzen. Die untersuchten acht kommunalen Kläranlagen erwiesen sich alle hinsichtlich der biologischen Reinigungsstufe als sehr effektiv im Vergleich zu Literaturdaten, wobei die Belastung im Zulauf der Kläranlagen in dem aus der Literatur bekannten Bereich lag. Dennoch enthielt das gereinigte Abwasser in sechs der acht kommunalen Kläranlagen zumindest zeitweise signifikante estrogene Aktivität. Auch in den Sedimenten des Vorfluters einer dieser Kläranlagen war estrogene Aktivität nachweisbar.
Im Kontext kürzlich veröffentlichter Untersuchungen geben diese Ergebnisse Anhaltspunkte dafür, dass die bei allen untersuchten Anlagen vorhandene Nitrifikation und das damit verbundene hohe Schlammalter mit der Eliminationsleistung der estrogenen Aktivität zusammenhing. Weitere Faktoren wie die Art der Phosphatelimination und der Schlammbehandlung wiesen keinen Zusammenhang mit der Eliminationsleistung auf. Die wiederholte Beprobung der Kläranlagen zu verschiedenen Jahreszeiten ergab Hinweise auf eine temperaturabhängige Eliminationsleistung, aber auch auf eine jahreszeitlich unterschiedliche Belastung der Kläranlagen mit estrogen aktiven Substanzen.
Neben kommunalem Abwasser wurden auch zwei weitere Arten von Abwasser untersucht, über die bisher nur wenig hinsichtlich der Belastung mit estrogen wirksamen Stoffen bekannt war. Dabei handelte es sich einerseits um Sickerwasser einer Siedlungsabfalldeponie und andererseits um reines Industrieabwasser. Im unbehandelten Deponiesickerwasser wurde eine estrogene Aktivität festgestellt, die im Bereich des Zulaufs von kommunalen Kläranlagen liegt. Zwei verschiedene Membranverfahren, die zu den in Europa am häufigsten eingesetzten Behandlungsverfahren für Deponiesickerwasser zählen, erreichten beide eine Elimination von mehr als 97%. Das unbehandelte Industrieabwasser wies einen sehr hohen Gehalt an estrogen aktiven Substanzen auf, der im Membranbioreaktoren (MBR) um circa den Faktor 1000 reduziert wurde.
Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass die untersuchten fortschrittlichen Reinigungsmethoden alle eine sehr effektive Elimination estrogen aktiver Substanzen erzielten. Allerdings konnte nicht stets und zuverlässig, auch nicht beim Einsatz von Membranbioreaktoren, ein Ablauf frei von estrogen aktiven Substanzen erreicht werden. Ob diese Restbelastungen ein Problem für aquatische Organismen darstellen, kann alleine anhand des verwendeten in vitro Tests nicht abgeschätzt werden, sondern bedarf weiterer Forschung. Im Hinblick auf eine vorsorgende Einschränkung der möglichen Umweltbelastung mit estrogen aktiven Substanzen sollten aber angesichts der vorliegenden Untersuchungsergebnisse eher die allgemeinen Reinigungsanforderung an kommunale Kläranlagen verschärft bzw. die bestehenden Anforderung flächendeckend umgesetzt werden statt Anlagen mit bereits dreistufigem Behandlungsverfahren weiter auszubauen. Weiterhin kommt der Erfassung und geeigneten Behandlung von Deponiesickerwässern und Industrieabwässern, denen bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, angesichts der festgestellten Belastung mit estrogen aktiven Substanzen eine hohe Priorität zu.